Die Auswanderung aus Briedel

- Ursachen und Ablauf -

 

Schon die Kimbern und Teutonen sagten, dass eine Überschwemmung ihres fruchtbaren Landes sie vom nördlichen Meer vertrieben habe, sodass sie Land suchen mussten, um zu wohnen. (aus: Wolfgang Menzel, Geschichte der Deutschen, Stuttgart 1837)

Die Germanen entwickelten nach der Zeitenwende eine Wanderungsbewegung nach Südwesten hinein ins römische Reich. Ausschlaggebend für die "Barbaren" war dafür neben dem Wunsch, an dem höheren Lebensstandard der Römer zu partizipieren, sicherlich auch hier der Drang nach besseren Acker- und Weideflächen.

Einige hundert Jahre später wiederholte sich der Zug nach Westen in der "Völkerwanderung" genannten, fast die gesamte damals bekannte Welt ergreifenden Wanderungsbewegung. Missernten, ausgelöst durch eine Phase von kälterem und regnerischem Wetter, veranlassten die Völker Ost- und Nordeuropas, sich im Süden und Westen neue Lebensräume zu suchen. Die Einfälle der Hunnen und damit die Angst um das reine Leben beschleunigten und verstärkten diese enorme Völkerverschiebung.

König Geza II von Ungarn warb um 1150 in den westeuropäischen Ländern um Siedler. Viele Moselaner und Luxemburger folgten dem Ruf und zogen nach Transsilvanien. Wie uns die überlieferten Urkunden berichten, ging es dem König nicht nur um die reine Besiedlung der fast menschenleeren Gebiete seines Reiches, sondern die moselländischen Siedler sollten die "Träger einer höheren Lebenskultur" und zuverlässige Grenzwächter gegen die Türken sein.

Mit der Zuweisung Ostpreußens an den Deutschen Orden initiierten auch diese zu Beginn des 13. Jahrhunderts einen Siedlerstrom aus Mitteleuropa in den Osten, um die bis dato dünnbesiedelten Gebiete ihrer neuen Ländereien mit römisch-christlichen Menschen zu bevölkern und mit diesem Gegenpol gegen die slawischen Einwohner ihren Herrschaftsanspruch zu untermauern. Das damit auch nach einigen gewährten steuerfreien Jahren der Einnahmen aus den Ländereien kräftig sprudeln sollten, war ein weiterer Grund dieser Maßnahmen.

Ab dem ausgehenden Mittelalter ging das freie Bauerntum durch das Lehnswesen mehr und mehr zugrunde und die Leibeigenschaft wurde zum überwiegenden Klassenstatus der Landbevölkerung.

Der österreichische Kaiser suchte ab etwa 1720 westdeutsche katholische Einwanderer zur Besiedlung seiner nach den Türkenkriegen fast menschenleeren ungarischen und serbischen Territorien. Auch hier war die Maxime, dadurch den Herrschaftsanspruch zu legitimieren und einen menschlichen Schutzwall gegen die Türken zu errichten. Viele Moselländer und Luxemburger folgten in den nächsten 100 Jahren in mehreren Wellen diesem Ruf und dem verlockenden Angebot auf, im Verhältnis zu ihrer alten Heimat riesigen, kostenlosen Ackerlandzuteilungen.

Nordamerika wurde zu dieser Zeit auch für Mitteleuropäer immer mehr zu einem Traumland und immer mehr zog es dorthin.

Den etablierten Herrschern und Landbesitzern war dieser menschliche Aderlass gar nicht recht. So erließ um 1750 das Kurfürstentum Trier mehrere Erlasse gegen die Auswanderung. Während man die Amerikaauswanderung stark behinderte, wurden gegen die österreichischen Werbungen keine Maßnahmen ergriffen. Es handelte sich ja bei dem katholischen Kaiser sozusagen um den Oberherren.

Nach der Besetzung der Rhein- und Mosellande durch französische Revolutionstruppen und Napoleon kam unsere Heimat 1813 in die Hegemonie Preußens. Kurz darauf wurden die Steuern zur Finanzierung der Kosten der Freiheitskriege kräftig erhöht. Auch der Zwang, das alle jungen Männer mehrere Jahre zum Militär eingezogen wurden, verstärkte die Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung mit ihren Lebensumständen. Die im Rheinland seit fränkischen Zeiten übliche Realteilung des Erbes unter allen Kindern hatte zu einer extremen Zersplitterung des bäuerlichen Landbesitzes geführt. Dadurch war es vielen Bauern auf den ihnen verbliebenen Kleinparzellen nicht mehr möglich, ihre Familie ausreichend zu ernähren. Anderweitige Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten gab es nur ganz wenige und so minderten sich die Existenzmöglichkeiten stetig.

Die Erweiterung des deutschen Zollvereins auf süddeutsche Länder brach das Monopol des Rheinlandes als preußischer Weinlieferant auf und die Fassweinpreise fielen von rund 150 auf unter 25 Thaler pro Fuder. Mehrere Missernten in Folge verursachten eine allgemeine Verelendung der Bevölkerung sowie eine große Hungersnot.

In Briedel bestand schon viele Generationen eine Schule, in der neben den Katechismus die Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt wurden. In vielen kleinen Bauerndörfern von Hunsrück und Eifel mussten die Kinder im Stall und auf dem Feld mitarbeiten, für Bildung war da keine Zeit und auch der Bedarf wurde nicht erkannt. Die preußische Verwaltung jedoch setzte die allgemeine Schulpflicht bis in den letzten Winkel durch. Das ermöglichte es auch der Landbevölkerung, sich mit Hilfe der nunmehr auch auf dem platten Land vermehrt aufkommenden Zeitungen über das Weltgeschehen zu informieren. Die Sehnsucht nach einem sorgenfreien Leben in der neuen Welt wirkte auf die von Existenzängsten und Perspektivlosigkeit geplagte Bevölkerung wie eine Droge. Positive Berichte und Anzeigen unterstützten die vor Ort tätigen Werber bei der Mobilisierung der Auswanderungswilligen.

Anfang des 19. Jahrhunderts gelang es den südamerikanischen Regionen, die Abhängigkeit von den Kolonialmächten Spanien und Portugal abzuschütteln. Insbesondere Brasilien unter Kaiser Petro warb nunmehr sehr intensiv besonders um deutsche Bauern und Handwerker, um die teils menschenleeren Regionen zu bevölkern. Zweck war in erster Linie auch hier, den Herrschaftsanspruch in den Gebieten zu festigen und mit den Menschen ein Bollwerk gegen Begehrlichkeiten der Nachbarländer zu schaffen. Neben den Bauern, denen großzügige kostenlose Landzuteilung zur Urbarmachung gewährt wurden, suchte man auch Junggesellen für die Armee und Straßenarbeiter zu gewinnen.

Während anfangs die Auswanderung von Land zu Land - es gab ja viele kleine autonome Herrschaftsgebiete - unterschiedlich war, gab es mit der Festigung des Deutschen Bundes und später des Kaiserreiches immer mehr einheitliche Regeln. So mussten die Ausreisewilligen frühzeitig einen Antrag stellen (Konsens einholen) und die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft - ohne Rückkehrmöglichkeit - beantragen. Dabei war u.a. nachzuweisen, dass sie keine Schulden hinterließen und keine unversorgten Angehörigen zurückblieben. Die jungen Männer mussten ihren Militärdienst abgeleistet haben und die Jünglinge mussten darlegen , dass sie sich mit der Auswanderung nicht vor dem Dienst drücken wollten. Viele, die diese Bedingungen nicht erfüllen konnten, verschwanden über Nacht und versuchten anonym auf ein Schiff und damit in die neue Welt zu gelangen.

Die überlieferten Unterlagen der Gemeinden sind leider sehr lückenhaft und auch die Kirchenbücher zeigen nur sporadische Aufzeichnungen der Fortgezogenen. Während bei den ersten Auswandererwellen nur teilweise die Namen der Passagiere schriftlich festgehalten wurden (Auswanderer- oder Passagierlisten), mussten ab etwa 1850 aufgrund behördlicher Anweisung alle Auswanderer in den Häfen registriert werden.

Leider wird die Suche nach den Auswanderern und ihren Nachkommen durch die in den Zeit- und Kriegswirren verloren gegangenen Dokumente, z.B. Passagierlisten, stark behindert. Von Dünkirchen sind nur ganz wenige Unterlagen dieser Zeit erhalten geblieben und Bombenangriffe vernichteten große Teile der Amsterdamer Passagierlisten. In Bremen wurden bis 1907 die Listen wegen Platzmangel in den Bürostuben jeweils nach drei Jahren vernichtet, aber von Hamburg sind die vielen Passagierlisten der abgehenden Schiffe ab 1850 erhalten und werden im Internet zur Auswertung durch jeden Interessierten bereitgestellt. Große Teile davon sind sogar digitalisiert und können automatisch durchforscht werden.

Viele junge Nachfahren der Auswanderer suchen heute nach ihren Wurzeln in Europa. Früher war dieses Hobby durch zeitaufwändige Forschung in den alten Kirchenbüchern und damit durch teure Besuche in der alten Heimat beschränkt. heute gibt uns das Internet und die digitale Aufbereitung vieler Ortsfamilienbücher oftmals schnelle und kostengünstige Ergebnisse. Forschergemeinschaften stimmen ihre Erkenntnisse gegenseitig ab und ergänzen so fehlende Lücken und verloren geglaubte Verbindungen.

Gegen 1900 ebbte die Auswanderungsbewegung ab und nur wenige, meist Alleinstehende, verließen ihre Heimat um jenseits des großen Ozeans in Nordamerika ihr Glück zu suchen.

Die beginnende große Industrialisierung bot gutbezahlte Arbeitsplätze im Ruhrgebiet, das sich bis Ende des Jahrtausends als Auffangbecken der überschüssigen Arbeitskraft vom Lande entwickelte.
Auch die beiden Weltkriege mit den hohen Verlusten an jungen Männern nahmen der Auswanderungsbewegung den Druck. Briedel allein verlor im I. Weltkrieg 79 und im II. Weltkrieg 114 seiner jungen Männer und Väter und damit einen wesentlichen Teil seines Arbeitskräftepotentials.

Heute zieht es wiederum viele junge Briedeler nach ihrer Ausbildung in die Ferne. Fehlende Arbeitsplätze in unserer Region lassen ein auskömmliches Leben und die Wahrung von Karrierechancen für die qualifizierte Jugend leider nicht zu.

Die Verhältnisse auf den Auswandererschiffen waren anfangs oft schlechter als auf den Sklavenschiffen. Die Kapitäne mussten für die Sklaven in Afrika Geld zahlen und waren daher bemüht, möglichst alle gesund über den Atlantik zu bringen um ertragreich verkaufen zu können. Die Auswanderer hingegen zahlten ja schon selbst für ihre Passage und wenn einer unterwegs starb, sparte der Kapitän sogar noch Kosten für Essen und Getränke. Auch der hinterlassene Besitz eines verstorbenen Auswanderers ging oftmals ins Eigentum des Kapitäns über, wenn keine nahen Angehörigen mit auf der Reise waren.