Die Schlange

Von Alois Busch / Ewald Goldschmidt

 

Eine Sage berichtet von einer verwunschenen Nonne, die in eine Schlange verzaubert worden war. Es heißt in dieser Erzahlung wie folgt:

In Weinbergsdistrikt „In der Grub“  unmittelbar unter der Marienburg gelegen, arbeitete einst einsam und mühsam ein Pündericher Winzer. Niemand war weit und breit zu sehen. Als der Winzer sich etwas von der schweren Arbeit ausruhte und sich in eine Wingertszeile hingesetzt hatte, schlich sich eine große Schlange an ihn heran, die auf dem Kopfe eine goldene Krone trug. Der tödliche Schreck, der den Mann bei diesem Anblick überkam lähmte ihm die Zunge.
Und er war nahe daran in Ohnmacht zu fallen. Als er sich etwas erholt hatte fing die Schlange zu sprechen an und sagte: „Fürchte dich nicht, guter Mann, ich tue dir nichts zu Leide, ich bin auch nicht, was ich scheine, es liegt daher in deiner Macht, mich und dich glücklich zu machen.“ Durch diese Ansprache bekam der Mann soviel Mut, dass er obwohl zitternd, fragte: „Was soll ich denn tun?“ Die Schlange antwortete: „Komm morgen zur selben Stunde wieder hierher, aber allein, ich werde dann ebenfalls in der selben Gestalt wieder erscheinen und einen Schlüsselbund im Maul tragen. Diesen Schlüsselbund nimm mir dann ab und folge mir, wohin ich dich auch führe, alsdann ist uns beiden geholfen!“ Und ganz eindringlich bat sie ihn;“ Um alles in der Welt gib morgen keinen Laut von dir, sonst ist alles vergebens!“ Der Winzer, versprach am nächsten Tag wiederzukommen. Auch wurde ihm von der Schlange noch eingeschärft, kein Sterbenswort auf dem Heimweg und zu Hause erzählen. Als der Winzer sich anderntags zur selben zeit an der selben stelle wieder eingefunden hatte, kam auch die Schlange mit der Krone auf dem Kopfe wieder angekrochen. In ihrem Maul hielt sie einen großen Schlüsselbund.

Doch als die Schlange sehr nahe an den Winzer herankam, um ihn zur Übernahme des Schlüsselbundes zu bewegen, überkam ihn wieder ein solcher Schrecken, dass er mit einem Angstschrei rücklings zu Boden sank. Er konnte noch gerade sehen und hören, wie die Schlange einen markerschütternden Verzweiflungsschrei ausstieß und sich dann in die Gestalt einer Nonne verwandelt. Dann umnebelten sich seine sinne, und er fiel in eine Ohnmacht, aus der er erst nach langer Zeit erwachte. Von der Schlange bzw. von der Nonne war nichts mehr zu sehen.

In diesem Zusammenhang hat der Volksmund diese Sage weitergeflochten: Man weiß zu erzählen von vergrabenen Schätzen, von einer Schlange bewacht die den Schlüssel, der allein die Schatzkiste öffnen kann, im Maul hält. Nur ein reines Mädchen kann den Schatz gewinnen, wenn es den Schlüssel mit dem Maud aus dem Maul der Schlange nimmt.

So kam die Schlange in Gestalt einer Nonne auch zu einem Briedeler Mädchen, das im Weinberg Unkraut rupfte, und sagte: „Geh in den Keller unterhalb der Marienburg. Dort stehen zwei Truhen, eine voll Gold, die andere voll Silber. Auf den Kisten liegt eine Schlange mit einem Schlüssel im Maul. Diesen Schlüssel musst du ihr mit deinem Mund aus dem Maul abnehmen. Wenn du nun die Truhen öffnest, findest du ein Schreiben darin. Es weist dem Nonnenkloster Marienburg einen teil des Schatzes zu, einen anderen erhalten die Armen, und der Rest ist für dich.“

Als das Mädchen dorthin ging und dem Kopf der Schlange näher kam, wurde es jedoch von einem solchen Schrecken erfasst, dass es schreiend davonlief. Die Schlange, wieder in Gestalt der Nonne, rief hinterher: „Seelenmörderin!“ Und bis heute ist es noch keinem Mädchen gelungen, der Schlange den Schlüssel aus dem Maul zu nehmen, die verwunschene Nonne zu erlösen und den Schatz zu bergen.

 

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