Anbau von Giftlattich in Briedel

Hermann Thur 2013

 

Der Gift-Lattich (Lactuca virosa), auch Wilder Lattich, Stinklattich oder Stinksalat genannt, ist ein naher Verwandter des Kopfsalats, eine Art aus der Gattung Lattich (Lactuca) aus der Familie der Korbblüter (Asteraceae). Es handelt es sich um Pflanzen, die sowohl einjährig als auch zweijährig auftreten. Zunächst bildet er eine Blattrosette, aus der im Sommer des ersten oder zweiten Jahres ein langer Stängel mit den Blüten wächst. Alle Lactuca-Arten durchleben vor der Blütezeit eine Phase intensiven Höhenwachstums („Schießen"). Nach Verteilung der Samen stirbt die Pflanze.

Giftlattich wurde seit dem Altertum als Heilpflanze verwendet. Zunächst im Mittelmeerraum
Später auch in anderen Regionen, war seine angeblich beruhigende, harntreibende Wirkung geschätzt. Hippokrates schrieb 430 v.Chr. Über die unterschiedlichen Vorzüge des wilden Lattichs und des Kopfsalats. Der römische landwirtschaftliche Schriftsteller Columella beschrieb im Jahr 42 vier Lattich-/Salatsorten, und Plinius nur 57 Jahre später deren neun. Kaiser Augustus soll für seine Genesung von schwerer Krankheit den Gift-Lattich verantwortlich gemacht haben und so beeindruckt gewesen sein, dass er zu Ehren seines Leibarztes Antoniua Musa eine Statue errichten ließ.

Über die Kultivierung dieser seit den Römerzeiten an der Mosel wildwachsenden Pflanze gibt es zwei Versionen: Die eine sagt, dass der aus Kastellaun stammende Johann Baptist Bordolle, dem als erster 1774 die kurfürstliche Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke in Zell gewährt wurde, die Kultivierung anregte. Die andere spricht sie einem „Kräuterweiblein", der Witwe Bartz aus Enkirch zu, die um 1850 begonnen hatte, den Lattischbitter gewerbsmäßig zu gewinnen.

Bevor die Blüte einsetzt, werden die Pflanzenstengel angeritzt bzw. Die Triebspitzen abgeschnitten, gegipfelt, wie man bei uns sagt.. Die daraufhin austretende Pflanzenmilch wurde gesammelt, indem Frauen und Kinder die sich auf den Schnittstellen bildenden Safttropfen mit dem Finger in ein Sammelgefäß abstreiften.

Im 18. Und 19. Jh. wurde der Giftlattichanbau nur von wenigen Familien als kleine Nebenbeschäftigung betrieben. Die Ernte wurde in rohem Zustand über Aufkäufer abgenommen und landesweit an Apotheken vertrieben. Hauptanwendungsbereich war der Einsatz als Betäubungsmittel und zur Behandlung von Bronchialerkrankungen. Im ausgehenden 19. Jh. War die Region um Briedel das einzige Anbaugebiet in Deutschland. Der Jahresertrag betrug rund 500 kg, was bei einem Kilopreis von ca 50 Goldmark zu einem nennenswerten Geldsegen für die Dorfbewohner führte. Der Anbau ist mühsam, aber lohnend, vermerkt die Chronik. Für 1 kg Saft rechnet man etwa 4.000 Pflanzen. Anfangs wurde der milchweiße Saft in Gläser gefüllt und an die Zwischenhändler abgegeben. Den bitterbrennend schmeckenden Saft lässt man später in der Sonne trocknen. Die braunschwarze Droge wird später in walnußgroße wachsartige Stücke geteilt in den Handel gebracht.

Während des 1. Weltkrieges stieg der Bedarf an Betäubungs- und Schmerzmittel für die vielen verwundeten Soldaten rasant an. Opium aus Asien war teuer bzw. Überhaupt nicht in den benötigten Mengen zu beschaffen. Dieses führte zu einer starken öffentlichen Förderung des Giftlattichanbaus und zu nennenswerten Ertragschancen, die von den Winzern gerne wahrgenommen wurden.

Auch nach dem Krieg blieb der Bedarf bestehen, denn die verbesserten medizinischen Möglichkeiten und die starke Zunahme von Operationen etc. Konterkarierte den Bedarfsrückgang für die Kriegsverwundeten. Gerade die Autarkiebestrebungen der NS-Zeit löste ab 1936 wieder eine massive staatliche Förderung aus. Die Ackerflächen zwischen Briedel und Pünderich erwiesen sich von Bodenbeschaffenheit und Klima als besonders gut geeignet. Obwohl auch andere Weinbanbaugebiete mit der Giftlattich-Kultivierung begannen, blieben die beiden Moselorte weiter das größte Giftlattichanbaugebiet des Deutschen Reiches.

In der Gemeindechronik Briedel für 1937 lesen wir: Der Anbau von Laktukarium wurde sehr gefördert und brachte in der Gemeinde etwa 6.000 Reichsmark auf.

Das stark gestiegene Angebot traf auf eine stagnierende Nachfrage, sodass die Qualitätsanforderungen bzw. Die Abnahmekriterien verschärft wurden. In der Chronik 1938 lesen wir dann schon: Da Laktukarium nur noch im trockenen Zustand aufgekauft wird, kam der Anbau desselben fast ganz zum Erliegen.

Der 2. Weltkrieg verursachte dann nochmals eine kurze Blütezeit im Anbau. 1948 wurde behördlicheits nochmals versucht, den Anbau zu forcieren. "Es ist erwünscht, daß der Anbau dieser Pflanze so gefördert wird, daß der Bedarf von Heilmitteln wieder aus der heimischen Pflanze gedeckt werden kann", schrieb der Landrat an die Bürgermeister. Später dann wurde asiatisches Opium preislich erschwinglich und konnte in ausreichenden Mengen eingeführt werden. Der Giftlattichanbau kam danach gänzlich zum Erliegen.

Eine überraschende Wiederentdeckung feierte die Pflanze in den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als sich ihre Wirkung in Hippikreisen rundsprach.

 

Quellen:
Mosel-Eifel-Hunsrück, Landkreis Cochem Zell, 1979
Schulchronik Briedel
Anweisung Landrat Zell v. 23.4.1948
wikipedia am 25.1.2013

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